OlgaPona aus der
Millionenstadt Tscheljabinsk in Sibirien ist studierte Ingenieurin für
Traktormaschinenbau. Doch weil ihr Herz für den Tanz schlug, sattelte
sie um auf Tanzpdagogik und grndete ihre eigene Compagnie. Heute
gilt "die Verrückte aus Tscheljabinsk" als interessanteste
Choreografin Russlands.
Der Berliner Sommerregen klatscht gegen die Fensterscheiben des Ballettsaals im Podewil. Zwei
Dutzend Tänzerinnen um die zwanzig springen in die Hhe. Eine Frau in schwarzem T-Shirt und
schwarzer Trainingshose fllt auf: Olga Pona ist doppelt so alt wie die anderen Teilnehmer, aber als
sie an die Reihe kommt, springt sie präzise wie ein Uhrwerk.
"Als sie in meiner Klasse auftauchte,"
Sagt die New Yorker Tanzpdagogin Janet Panetta ber ihre prominente Schülerin Olga Pona,
"Da habe ich sofort gemerkt, dass sie genau wei, was sie tut."
"O weh, ein Workshop voll mit jungen Tänzerinnen und ich als alte Frau dazwischen", kichert die 45-jhrige Olga Pona nach der Stunde und schttelt ihren schwarzen Pagenkopf. Seit Jahren arbeitet sie
in ihrer Heimat als erfolgreiche Choreografin, aber noch immer ist sie auf der Suche nach neuen
Techniken, die sie ihren Tänzern weitergeben kann.
"Wissen sie, ich lebe nicht nur in der geografischen Provinz, ich lebe auch in einer Kulturprovinz.
Natürlich gibt es bei uns einen Haufen Theater und Folklore-Ensembles, aber das bedeutet gar
nichts. Wir hungern regelrecht nach allem, was neu ist, was anders ist und von
außen kommt."
Olga Ponas geografische Provinz ist die Millionenstadt Tscheljabinsk in Sibirien, am
südlichen Rand
des Urals: In Stalins ehemaligen "Tankograd" prallen die Gegensätze der postsowjetischen
Gesellschaft wie berall in Russland aufeinander: Es gibt drei Multiplex-Kinos und eine futuristische
Einkaufsgalerie, aber zu den Aufführungen der werkseigenen Folklore-Ensembles
begrüßt der
Moderator das Publikum mit "liebe Genossen."
Auf diesen Betriebsfesten werden die Reste einer Kultur gepflegt, die Olga Poma von Kind auf kennt:
Sie wuchs in einer Steppensiedlung nahe der Grenze zu Kasachstan auf. Ihre Mutter arbeitete als
Lehrerin und leitete nebenher das örtliche Pionierlager. 1974 kam Olga nach Tscheljabinsk, um
Traktormaschinenbau zu studieren. Kein Wunschstudium, das Herz der 21-jhrigen Studentin
schlägt für den Tanz, als Weg aus dem sozialistischen Einerlei. Aber für die klassische Ballettausbildung ist
sie zu alt, also bewirbt sich die frisch gebackene Genossin Ingenieurin an der Kunsthochschule
für
den Studiengang Tanzpdagogik.
"Da hatte ich dann zweimal die Woche klassischen Tanz, zweimal die Woche Folkloretanz und in der
restlichen Zeit historisch-dialektischen Materialismus und marxistische Philosophie."
Olga Pona verzieht das Gesicht zu einer unglücklichen Grimasse, als sie von ihrem reglementierten
Zweitstudium erzhlt. Die Rettung kam mit der Perestroika. Der eiserne Vorhang fiel und zum ersten
Mal gastierten zeitgenssische Choreografen aus dem Westen in Russland. Durch Zufall erfuhr Olga
Pona von einem Workshop des amerikanischen Altmeisters des modern Dance, Merce Cunningham,
im fernen Moskau.
"Ich setzte mich sofort in den Zug, fuhr zwei Tage und zwei Nächte nach Moskau, aber ich kam zu
spät zum Vortanzen. Der Kurs war schon voll, aber wenigstens konnte ich zuschauen. Und ich war
sehr glücklich."
Glücklich und mutig: Die Tanzpdagogin gründete ihre eigene Compagnie. Die meisten ihrer
Kollegen hielten ihre Arbeiten aus Folklore-Elementen und Modern Dance mit
Tänzern, die weder
Frohsinn von der Stange noch Ballet auf Spitze auffhörten, für verrückt.
Aber Olga Pona setzte sich durch, zuerst im Ausland: 1999 gastierte sie mit ihren
Tänzern zum
ersten Mal außerhalb Russlands in Vilnius und wurde prompt als Gastdozentin an das European
Dance Development Centre im niederländischen Arnhem eingeladen. Nach ihrer
Rückkehr nahm
endlich der einheimische Kulturbetrieb von Olga Ponas "Tscheljabinsk Contemporary Dance
Company" Notiz und die junge Choreografin wurde mit der "goldenen Maske" ausgezeichnet, einer
Art russischer Emmy für hervorragende Theaterarbeit. Ob sie bei der Preisverleihung geweint hat?
"Ich bitte Sie, so ein sentimentaler Quatsch,"
entgegnet Pona und macht eine wegwerfende Handbewegung.
"Fragen Sie mich nicht, wie wir Kunst machen. Wir proben in einem sogenannten Sportpalast vier
Stunden pro Tag. Schönster Stalin-Barock, aber die Halle teilen wir uns mit einem Basketball-Team,
Tennisspielern und Aikido-Kampfsportlern. Die haben unsere ganze Ausrüstung kaputt gemacht, die
Spiegel, die Barren. Wir haben keine Bühne zum Proben, ganz zu schweigen von einem eigenen
Haus. Geld verdienen wir nur mit Gastspielen auerhalb Russlands."
Die letzte Arbeit der Choreografin "on the other side of the river" erzählt von zwei Jungen, die
für die
reichen Gäste eines Luxushotels auf der anderen Seite des Flusses die Wäsche
bügeln. Wenn sich
der Nebel auf der Bühne lichtet, sieht man sie bei ihrer Arbeit, aber im Handumdrehen verwandeln
sich die Bgüelbretter zu Surfbrettern, mit denen sich die Jungen auf den Weg machen zur anderen
Seite des Flusses ins gelobte Land. Unterwegs treffen sie auf eine melancholische Feiergesellschaft.
Pona erfindet für ihre Tnzer ein Traumbild nach dem anderen: In einer Szene wiegen sich die Paare
zu schwermtiger Tangomusik, dann wieder rudern sie wie getrieben mit allen vieren ber die
Bühne. Die Geschichte spielt in den 60er Jahren, aber das Stück lässt sich auch als Metapher auf die
Gegenwart deuten.
"Als Metapher von der Sehnsucht nach Westeuropa. Heute dreht sich alles in Russland ums Warten,
man wartet auf ein besseres Leben, bessere Umstände, vielleicht auf eine bessere Zukunft, darauf,
dass irgendwas im Leben passiert."
"On the other side of the river" ist vielleicht Ponas persönlichste und melancholischste Arbeit. Von
ihren zwlf Tänzern und Tänzerinnen halten sich die meisten mit Nebenjobs ber Wasser. Die
Kompagniechefin selbst lebt mit ihrem zweiten Mann, dem niederlndischen Tanzpdagogen
Aat Houghee und ihrem erwachsenen Sohn in einer 3-Raum-Plattenwohnung am Stadtrand von
Tscheljabinsk. Trotzdem: Für Olga Pona ist ein Umzug ans "andere Ufer des Flusses" nie in Frage
gekommen, denn das würde das Ende ihrer Tanzkompagnie bedeuten. Eine
verrückte Wahl? Nicht für Olga Pona.
"Es kommt nicht darauf an, wo man lebt, sondern wie man lebt, und für was man lebt."
http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/profil/663828/
8/31/2007
Deutschlandradio Kultur - Profil - Die Verrückte von Tscheljabinsk
Sagt sie zum Abschied.
"Kunst entsteht durch Not."
2007Deutschlandradio |
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